Digitaler Rundgang
Alte Mauern
Vor mehr als 1100 Jahren, genauer 918, findet sich der erste urkundliche Beleg für das Vorhandensein einer Kirche St. Bonifatius an diesem Ort. Vermutlich gehört sie zu den alten Wehrkirchen Thüringens. Darauf weisen die Okuli auf der Nord- und Südseite des Turms sowie ein alter charakteristischer Wasserspeier hin. Ihre grundlegende heutige Gestalt als Chorturmkirche und das Glockengestühl erhielt sie im 14. Jahrhundert, im Zeitalter der Gotik. Die Grundmauern des Turms stammen möglicherweise sogar aus der romanischen Epoche.
Info:
Die "Besch'ter" Bürger kümmerten sich immer sehr um ihre Kirche auf dem Hügel, von wo sie geduldig über ihr Dorf wacht. Allerdings hinterließ die DDR-Zeit dann doch ihre Spuren. Die Mauern des Turms und des Schiffs drohten seit den 1980er Jahren auseinander zu brechen. Das beherzte Eingreifen einiger Nachbarn verhinderte dies durch provisorische Notsicherungen. In den 2000er Jahren sodann gründete sich der Kirchbau- und Heimatverein, der die Rettung der St.Bonifatius-Kirche durch gewaltige Restaurierungsmaßnahmen organisierte und umsetzte.
Äußere barocke Umbauten
1702 bis 1730 wurde St.Bonifatius einer äußeren Umgestaltung unterzogen. Der Schlussstein über dem Eingang an der Nordseite weist darauf hin. Größere Fenster lassen seither Licht ins Kircheninnere und auf dem Chorturm sitzt nun ein neuer Glockenstuhl sowie ein Dachreiter mit zum Dorfkern gewandter Schlagglocke von 1609. Das Dach des Kirchenschiffs wurde angehoben.
Info:
Die kleine Glocke wurde bei der Restaurierung der Kirche in den späten 2000er Jahren vom Dachreiter entfernt und an die Ostseite des Chorturms gesetzt (siehe Logo). Der Dachstuhl des Turms ist nun entlastet und statisch wieder einwandfrei.
Innere barocke Umbauten
In der Zeit von 1702 bis 1730 wurden auch innere Umbauten vorgenommen. Den Erfordernissen der Zeit gemäß sollte die Kirche vergrößert werden. Um mehr Platz zu schaffen, wurde die gerade Holzbalkendecke im Schiff entfernt und durch ein hölzernes Tonnengewölbe ersetzt. Der ursprünglich spitzbogige Triumphbogen zum Chorraum wurde statisch mutig zu einem Rundbogen vergrößert. Außerdem erhielt der Chorraum einen gewaltigen Kanzel-Altar. Aus barocker Zeit stammt auch das Vortragekreuz, hier im Bild auf der rechten Seite zu sehen, das vor Prozessionen hergetragen wird.
Info:
Der sehr einfache und schmucklose Kanzel-Altar war 1986 aus dem Chorraum entfernt worden. So war es gelungen, den schönen frühgotischen Raum mit seinem Lanzettfenster, den gotischen Figuren und dem Altarblock wieder sichtbar zu machen. Das geschmiedete historische Gitter des Tabernakel kann seither wieder geöffnet werden.
Nach der politischen Wende 1989 wurde diese Ausstattung durch zeitgenössische Kunstwerke ergänzt (siehe unten). Insgesamt hat der Chorraum damit eine über viele Jahrhunderte gewachsene und durch mehrere Stilepochen geprägte Gestalt gewonnen, die auch Menschen der modernen Gesellschaft zur Meditation anzuregen vermag.
Die Witzmann-Orgel
Im 19. Jahrhundert gab es in Bechstedtstraß den Gesangsverein "Fröhlich – Frei", der wie viele andere solche Vereine im Weimarer Land die Adjuvantenmusik pflegte. Um dafür das geeignete Umfeld zu schaffen, wurde eine neue große Orgel gebraucht. 1875 also ließen die "Besch'ter" eine – für das kleine Kirchenschiff fast überdimensionierte – romantische Orgel über zwei Emporen vom berühmten Orgelbauer August Witzmann aus Stadtilm anfertigen und einpassen. Man sagte, er hörte nicht wieder auf zu bauen. 1877 schließlich war der Bau vollendet. An der Orgelempore steht seither „Lasset die Musicam hören“, ein Motto des Weimarischen Gesangbuches, das J.G. Herder 1799 herausgab. Zuletzt gab Witzmann noch zwei Pauken zur Orgel dazu.
Das Schleifladen-Instrument hat 25 Register (Züge) auf zwei Manualen und Pedal und ist mit einer Manual- und einer Pedalkoppel sowie einem „Calcantenwecker“ ausgestattet. Die Spiel- und Registertrakturen sind mechanisch. Die Orgel ist nahezu unverändert erhalten. Nur anstelle der als 18. Register vorgesehenen Trompete 8′ befindet sich eine Oboe 8′.
Die Orgel wurde vom legendären Kantor Franz Liszt's, Alexander Wilhelm Gottschalk, abgenommen und im Aufnahmebericht ausdrücklich gelobt.
2018 wurde unsere Witzmann-Orgel liebevoll restauriert und ist seither wieder für Konzerte gefragt – u.a. für den Thüringer Orgelsommer.
Der Altar mit Antependium
Aus der Zeit des frühgotischen Auf- und Ausbaus des Turmes stammt wahrscheinlich auch die Sandsteinplatte des Altars. In ihr sind noch immer Weihekreuze und Reste eines Reliquiars vorzufinden. Welche Reliquie darin aufbewahrt wurde, ist ungewiss. Da im Mittelalter der Handel mit gefälschten Reliquien blühte, sind den geringen Ausmaßen des Schreins entsprechend eher kleine (angebliche) Überreste des Heiligen Bonifatius, wie etwa ein Fingernagel oder eine Haarlocke, anzunehmen.
1993 webte die Textilkünstlerin Ulrike Drasdo (†) aus Hohenfelden das Antependium aus gefärbten Wollfäden für diesen Altar, das in reduzierter Form die Silhouette der Orgel, das göttliche Licht und des christliche Kreuz in einem Motiv vereint und widerspiegelt.
Das Lanzettfenster
Aus dem 14. Jahrhundert, als der Kirchturm seine gotische Gestalt und ein Kirchenschiff erhielt, stammt auch das schmale Lanzettfenster mit Dreipass in der Ostwand des Chorraums. Über die ursprüngliche Verglasung ist bisher leider nichts bekannt.
Info:
In den 1980er Jahren hatte sich ein großer vertikaler Riss im Mauerwerk des Turmes gebildet, der genau durch die Mitte des Lanzettfensters verlief. Nach der Sanierung der Mauern war nun auch wieder eine gestaltete Verglasung möglich.
Inspiriert von der Jugendstil-Malerei über und im Rundbogen zum Chorraum entwickelte der Maler und Grafiker Ulf Raecke (†) diese neue Bleiverglasung. Aufsteigend aus einem dunklen Blau strebt das Leben, symbolisiert durch Pflanzenornamentik in Grüntönen, dem Licht entgegen. Eine wundervolle Arbeit, die zur Meditation einlädt.
Es sollte Raeckes letztes Werk sein. Kurze Zeit nach Fertigstellung der Verglasung 2010 starb der Erfurter Künstler.
Der Torso
Die Stelle eines Altarkreuzes nimmt seit 2007 der sogenannte "Torso" ein – entworfen und umgesetzt vom Keramikkünstler Lutz Hellmuth aus Erfurt. Anlässlich eines Keramiksymposiums in Bechstedtstraß entwickelte er diese kombinierte Form eines menschlichen Körpers mit dem Kreuz der Christen. Der "Torso" scheint mittig geteilt und, leicht verschoben, wieder zusammengesetzt worden zu sein, was dem Körper eine gewisse Bewegung verleiht. Vermutet wird anfangs oft eine Figur aus Holz. Erst auf den zweiten Blick erkennt man ihre Beschaffenheit aus eingefärbter Keramik.
Der Taufstein
Im westlichen Teil des Kirchenschiffs, mittig unterhalb der Witzmann-Orgel platziert, steht der alte Taufstein aus dem 16. Jahrhundert. Er trägt die Jahreszahl 1563. Wie vielen Täuflingen er über die Jahrhunderte das gesegnete Wasser reichte ist nur zu vermuten. Denn zum Einen sind die Aufzeichnungen aus den frühneuzeitlichen Jahren nicht immer vollständig. Zum Anderen handelt es sich bei dieser wunderschönen Steinmetz-Arbeit um eine Leihgabe der Nachbargemeinde Isseroda. Zu deren Chronik ist uns der Zugang üblicherweise nicht gegeben.
Aber in jüngster Zeit – dies sei vermerkt – wurden über diesem altehrwürdigen Stein zwei Kinder einer benachbarten Familie getauft.
Skulptur Anna Selbdritt
Um 1350 entstanden die beiden gotischen Holz-Skulpturen, die sich heute an der Ostwand hinter dem Altar zu beiden Seiten des Lanzettfensters befinden: rechts Anna Selbdritt, mit Maria und dem Jesuskind auf dem Arm, und links die Madonna mit Kind.
Skulptur Madonna mit Kind
Um 1350 entstanden die beiden gotischen Holz-Skulpturen, die sich heute an der Ostwand hinter dem Altar zu beiden Seiten des Lanzettfensters befinden: links die Madonna mit dem Kinde und rechts Anna Selbdritt, mit Maria und dem Jesuskind auf dem Arm.
Skulptur Bonifatius
Die Bilschofs-Skulptur aus Holz an der Nordwand der Kirche ist wohl ihrem Namensgeber St.Bonifatius zuzuordnen. Im 8. Jahrhundert zog der aus England stammende Bischof durch Gegenden wie die unsere und bekehrte die noch den germanischen Göttern zugewandten Einheimischen zum christlichen Glauben.
Die Skulptur entbehrt heute leider ihrer Hände, die vermutlich einmal eine betende oder segnende Geste zeigten. Sie ist etwas jünger als die beiden um 1350 entstandenen Frauen-Darstellungen.
Der Tabernakel im Chorraum
In der Nordwand ist eine gotische Sakramentsnische eingelassen, worin in vorreformatorischer Zeit die geweihten Hostien für das Abendmahl aufbewahrt wurden. Beim historischen Tür-Gitter des Tabernakel handelt es sich um eine schöne mittelalterliche Schmiedearbeit.
Der Ambo
Zu den zeitgenössischen Prinzipalien im Chorraum gehört auch der Ambo – eine Schmiedearbeit von Michael Ernst aus dem Jahr 2009.
Eine geölte Eichenbohle dient als Buchauflage, die auf einem Gerüst aus ineinander gesteckten, geschmiedeten Eisenkeilen ruht. Auch am Boden umschließen die Eisenkeile den Sockel des Ambo, um so einerseits für Stabilität zu sorgen und andererseits als zurückhaltendes gestalterisches Element zu wirken.
Der Epitaph
An der Südseite des Chorraumes steht ein prächtiger Epitaph aus Sandstein von 1609. Er zeigt das Bildnis des Pastors Johannes Hertrich aus Bechstedtstraß mit den vier Evangelistensymbolen. Diese Steinmetz-Arbeit mit dem feinen Relief wird dem bekannten Erfurter Bildhauer Hans Friedemann dem Jüngeren zugeschrieben.
Info:
2016 wurde der Epitaph nach langer Zeit der Trockenlegung von etlichen Farbschichten befreit, gesäubert und schließlich konserviert. Er erhielt diesen Platz an der Südwand auf einem flachen Steinsockel, um weitere Wasserschäden zu vermeiden.
Die Wandmalerei im Jugendstil
Unsere Vorfahren haben bei der Innenausmalung des Triumphbogens im Jahr 1905 die Worte des Propheten Jesaja [ Jes. 40,31] in den Mittelpunkt gestellt: "Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler." Dieser Satz ist durch August Hermann Francke zu einem Schlüsselsatz des deutschen Pietismus geworden und entsprach der Lebenserfahrung der Dorfbewohner; ihrem Glauben und macht deutlich, welche Bedeutung die St.Bonifatius-Kirche für ihr Leben hatte. Auch heute spiegelt dieser Satz die wichtige, einigende Rolle der Kirche in unserem Dorf wider. Das Spruchband begleiten, beidseitig angeordnet, zwei Engel und zwei Adler, die sich der Sonne bzw. dem christlichen Kreuz über ihnen zuwenden.
Die Bemalung der Innenseite des Triumphbogens zeigt ein Fries aus einzelnen Schablonen-Elementen. Von links beginnend gelesen, steigen Blatt- und Ährenornamente zum Bogenmittelpunkt hinauf und umschließen dabei das "Alpha"-Zeichen – erster Buchstabe des griechischen Alphabets und Symbol für den Anfang. Die rechte Seite des Bogeninneren zeigt dieselben Ornamente, hier allerdings das "Omega"-Zeichen umschließend – Symbol für das Ende. Beide Friese streben auf einen Kreis mit Kreuz zu, der mit den Buchstaben JHS, für Jesus Heiland Sohn, den Mittel- und Höhepunkt sowie die Ganzheitlichkeit von Himmel und Erde symbolisiert.
Die Gedenktafel
Ebenfalls im Jugendstil von 1920 ist eine Gedenktafel für die Gefallenen und Teilnehmer des Ersten Weltkriegs an der Südseite des Kirchenschiffs entstanden. Die Hinterglasmalerei ist nicht nur eine wundervolle handwerkliche Arbeit und Zeitzeugnis des Jugendstils. Sie bringt uns auch durch die namentliche Nennung der Soldaten die Menschen des Ortes aus dieser Zeit näher; lässt uns die Schicksale erahnen.
Besonders bemerkenswert ist, dass sie nicht, wie damals allgemein üblich, eine heroische Heldenverehrung zeigt, sondern das Harren, die Verzweiflung und Trauer der Frauen, Witwen und Töchter thematisiert.
Historische Bodenkacheln
Details werden hier zeitnah erscheinen...
Die Spolie im Kirchgarten
Die Westwand des Kirchenschiffs durchbrechen zwei Rechteckfenster, wovon das Kleinere und Ältere mit vier Werksteinen umwandet ist. Dieses schmale Fensterchen könnte einerseits auf die Vergangenheit als Wehrkirche hindeuten, nämlich in seiner Funktion als Schießscharte. Andererseits könnte es auch schlicht als Lichtspender für einen früheren Treppenaufgang o.ä. gedient haben.
Vom gotischen Kernbau verblieb nach den barocken Umbauten außerdem eine spitzbogige Nische im Erdgeschoss, die hier eventuell als Spolie vermauert worden war. Sie diente hier an der Außenwand der Kirche wahrscheinlich als Tabernakel für Gottesdienste im Freien.
Die Gedenksteine
Um die Kirche allseits verteilt stehen Gedenk- und Grabsteine aus mehreren Epochen. Sie prägen den romantischen Charakter unseres Kirschgartens.
In ihrer ursprünglichen Funktion erinnern sie an die verstorbenen Bewohner des Dorfes, die hier teilweise noch immer begraben liegen. Ihre Herkunft aus teils barocker, teils klassizistischer Stilepoche jedoch macht sie außerdem zu besonderen Zeitzeugnissen in der Geschichte unserer Kirche und des kleinen Ortes Bechstedtstraß. Einige Steine zählen bald 300 Jahre, die sie Wind und Wetter stand gehalten haben. So manche gut erhaltene Inschrift zeigt neben Trauer und Schmerz auch eine tiefe Verbundenheit zur Poesie.